Die deutschen Truppen stehen vor Paris. Georg, ein deutscher Flüchtling, gerät in eine Razzia und entkommt trotz Denunziation „aufrechter“ Franzosen im letzten Moment in einem Güterwaggon nach Marseille. Im Gepäck hat er die Hinterlassenschaft des Schriftstellers Weidel, der sich aus Angst vor seinen Verfolgern im Hotel die Pulsadern aufgeschnitten hatte: Ein Manuskript, Briefe - und die überlebenswichtige Zusicherung eines Visums durch die mexikanische Botschaft. Georgs verletzter „Mitreisender“ Heinz überlebt die Tortur auf Schienen nicht.
In Marseille darf nur bleiben, wer bei polizeilichen Kontrollen nachweisen kann, dass er die südfranzösische Hafenstadt demnächst verlassen wird. Dafür benötigen die vor den Deutschen Geflüchteten Visa möglicher Aufnahmeländer in Übersee. Und Transitvisa samt der raren Tickets für die Schiffspassage. Georg bedient sich der Papiere Weidels und nimmt dessen Identität an. Im mexikanischen Konsulat findet er einen Brief von Weidels Frau Marie vor: ihre Transitpapiere samt Schiffspassage in die USA in drei Wochen befinden sich in seinem Besitz.
Georg läuft mit Leidensgefährten durch die Stadt, tauscht in den Cafés und Bars am Hafen Nachrichten aus und freundet sich mit Driss, dem bei seiner taubstummen maghrebinischen Mutter Melissa lebenden Sohn des im Waggon gestorbenen Genossen Heinz, an. Der seine Enttäuschung darüber, dass sein Fußball-Spielgefährte und allmählicher Ersatz-Vater bald nach Mexiko auswandert, nicht verhehlt. Überall, auch in den Korridoren des kleinen Hotels, in dem er abgestiegen ist, werden Fragen nach der ungewissen Zukunft gestellt. Marschieren die Deutschen in die Vichy-Zone ein, ist ein Fluchtweg über die Pyrenäen möglich, wohin soll man gehen, wenn man keine Schiffspassage ergattert?
Mehrfach begegnet Georg einer schönen, geheimnisvollen Frau, ohne zu wissen, dass es Marie Weidel ist, die nach ihrem Gatten sucht. Dabei hat der sich nach Aussage des mexikanischen Konsuls doch schon längst gemeldet und seine Papiere erhalten. Eine elegante Dame, die stets zwei Hunde an ihrer Seite hat, lädt Georg zum Essen ein. Dabei hat sich dieser längst in Marie verliebt, ohne zu wissen, wer sie ist. Was auch damit zusammenhängt, dass Marie offenbar mit dem Kinderarzt Richard zusammenlebt…
„Vergangenheit und Zukunft, einander gleich und ebenbürtig an Undurchsichtigkeit – der Zustand, den man auf Konsulaten ‚Transit‘ nennt und in der gewöhnlichen Sprache Gegenwart“: Anna Seghers hat ihren teilweise autobiographischen Roman „Transit“ 1941 und 1942 im mexikanischen Exil geschrieben. Während dieser im Zweiten Weltkrieg spielt, verlegt Christian Petzold seine Adaption in ein unbestimmtes Heute mit französischen Elitesoldaten des 21. Jahrhunderts, wobei sein Szenenbildner Klaus-Dieter Gruber bisweilen auch die 1940er Jahre der Vorlage im Blick hat – ein Brechtscher Verfremdungs-Effekt, der wie gewollt zunächst irritiert und so ganz unterschwellig bei den Zuschauern Assoziationen zu aktuellen Flüchtlingsströmen und Transit-Situationen rund um das Mittelmeer hervorruft.
Der Schwebezustand des Transits wird aber durch die Gleichzeitigkeit zweier Lebensrealitäten nicht nur optisch auf Cinemascope-Format erweckt: Matthias Brandt, Wirt der kleinen Brasserie Mont Ventoux, lässt als sehr distanzierter, nüchterner und dabei doch sehr menschlich-berührender Erzähler viele Fragen eines auf realistische Filme abonnierten Publikums offen. Und im Abspann erklingt „We’re on the Road to Nowhere“ der Talking Heads.
Christian Petzold im Berlinale-Presseheft: „Die Menschen in ‚Transit‘ hängen fest in Marseille, sie warten auf Schiffe, Visa, Transits. Sie sind auf der Flucht. Es wird für sie kein Zurück mehr geben. Und kein Vorwärts. Niemand will sie aufnehmen, niemand will sich kümmern um sie, niemand nimmt sie wahr – nur die Polizisten, die Kollaborateure und die Überwachungskameras. Sie sind im Begriff, Gespenster zu werden, zwischen Leben und Tod, zwischen dem Gestern und dem Heute. Die Gegenwart zieht vorbei und nimmt keine Notiz von ihnen. Das Kino liebt die Gespenster, vielleicht, weil es auch ein Transitraum, ein Zwischenreich ist. Wir, die Zuschauer, sind anwesend und abwesend zugleich. Die Menschen in ‚Transit‘ wollen zurück in den Strom, in die Brise, in die Bewegung. Sie wollen eine Geschichte haben. Sie finden ein Romanfragment, das ein Schriftsteller hinterlassen hat. Das Fragment einer Erzählung. Eine Erzählung von Flucht und Liebe und Schuld und Loyalität. ‚Transit‘ handelt davon, wie diese Menschen diese Erzählung zu ihrer machen.“
Dass es sich bei dieser am 17. Februar 2018 im Wettbewerb der 68. Berlinale uraufgeführten Adaption um eine herausragende Literaturverfilmung handelt, unterstrich Laudatorin Caroline Emcke am 12. Oktober 2018 in Frankfurt/Main bei der Verleihung des Julius-Campe-Preises des Verlags Hoffmann und Campe für Christian Petzold, dotiert u.a. mit 99 Flaschen Wein. „Transit“ wird am 9. November 2020 als Free-TV-Premiere auf Arte ausgestrahlt.
Pitt Herrmann